Chatbots bieten keinen Nutzen. Dies gaben 80 Prozent der Befragten einer europaweiten Studie von Freshworks an, einem Anbieter von Kundenkontaktsoftware. Für 41 Prozent sind Chatbots sogar ein Grund, ein Unternehmen zu meiden. Wie sind diese Ergebnisse zu deuten? Auf einen Chat mit Jens Leucke, Head of Sales Freshworks DACH, über die Rolle von Chatbots und KI im Kundenservice.

Wie muss Kundenservice heute funktionieren, damit Kunden zufrieden sind?
Kundenservice muss aus unserer Sicht dort sein, wo der Kunde ist. Heute kann niemand mehr sagen: “Ich biete nur noch telefonischen Support an.” Sonst würde man viele Kunden verlieren. Heute wählen sich die Kunden die Channels aus, mit denen sie mit einem Unternehmen in Kontakt treten wollen. Das sind immer häufiger Whatsapp oder der Apple Business Chat. Social Media gehört natürlich längst dazu. Im Durchschnitt erwarten Kunden sieben bis acht Kanäle, über die sie mit Unternehmen in Kontakt treten können, und Chat gehört einfach dazu. Kunden wollen schnellstmöglich eine Antwort haben. Gerade jüngere Kunden, die für Social Media sehr affin sind.
Aus unserer Studie hat sich weiter ergeben, dass eine einzige schlechte Supporterfahrung schon zur Abkehr von der Marke oder des Unternehmens führt. Das muss ich wissen, wenn ich meinen Kundenservice strukturiere, egal, ob ich es menschlich, per Chatbot oder beidem mache. Der Fokus muss ganz klar darauf liegen, positive Kundenerfahrungen zu schaffen.
80 Prozent der Kunden sehen keinen Nutzen in Chatbots und würden sich unter keinen Umständen dafür entscheiden, auf diese Weise mit einem Unternehmen zu interagieren. 41 Prozent von ihnen gaben sogar an, dass sie die bewusste Kommunikation mit einem Chatbot derart abschrecken würde, dass sie das entsprechende Unternehmen in Zukunft meiden würden.
Studie “Der Bot und die Kundenerfahrung”
Aus eurer Studie geht hervor, dass 80 Prozent der Kunden keinen Nutzen in Chatbots sehen. Sind Chatbots im Kundendienst somit Fehl am Platz?
Nein. Es kommt darauf an, wie ich einen Bot gestalte. Wenn ich einen Bot fragen lasse: “Wie kann ich dir heute helfen?”, ist das zu generisch. Soll der Chatbot bei einem technischen Fehler helfen? Bei einer Bestellung? Das gilt es möglichst gut einzugrenzen. Der häufigste Fehler ist, dass der Chatbot zu generisch ist. Das frustriert Kunden, weil sie nicht weiter kommen. Ein Bot braucht eine Persönlichkeit, eine klare Aufgabe. Für verschiedene Seiten eines Unternehmens kann man ruhig verschiedene Bots anbieten.
Haben Unternehmen das Thema Chatbots denn unterschätzt?
Ja, oft haben Unternehmen das Thema Chatbots unterschätzt. Chatbots waren ein grosser Trend und es schien, als ob man etwas verpasst hätte, wenn man keinen Chatbot hatte. Viele haben daher angefangen, einfach irgendwelche Chatbots auf die Website zu stellen – Hauptsache, es gab das Angebot. Der Nachteil war dann jedoch, dass dieses oft zu generisch war.
26 Prozent der Befragten berichteten, mit Kundenservice-Chatbots bereits Probleme gelöst zu haben. 29 Prozent gaben an, von Chatbots nicht relevante Antworten erhalten zu haben.
Studie “Der Bot und die Kundenerfahrung”
In der Studie schreibt ihr, Investitionen in Chatbots sind wichtig. Ist das die Lösung? Und Investitionen in was?
Es bedarf nicht unbedingt mehr Investitionen in Form von Geld sondern eher Zeit für die Entwicklung eines soliden Konzeptes: was ist ein erster einfacher Use Case, den ich abbilden kann? Der sollte möglichst spezifisch sein, um ihn gut umzusetzen. Nicht einfach etwas online stellen. Nichts ist schlimmer, als wenn ein schlechter Bot zu einer ablehnenden Haltung beim User führt.
Der Use Case kann im einfachsten Fall einfach eine Abfrage nach einer Bestellung sein. Der Chatbot fragt: “Kannst du mir bitte deine Bestellnummer geben?”. Er fragt nach: “Deine Bestellung war zwei Bleistifte?”. Wenn der User dann bestätigt, folgt die logistische Info. Das ist ein einfacher Flow und kann auf der Supportseite eingebettet werden. Das ist interaktiver als eine reine Abfrage.
Häufig wird auch unterschätzt, wie wichtig es ist, dem Chatbot eine Persönlichkeit zu geben. Das beinhaltet einfache Dinge, z.B. ob mich der Bot mit du oder Sie anspricht. Oder ob er einen Dialekt spricht. Vielleicht sogar “Schwizerdütsch”?
Und dafür bietet ihr mit Freshworks dann die Tools?
Wir haben verschiedene Möglichkeiten zur Umsetzung auf Seite Freshworks: wir haben unter anderem einen Botbuilder, mit dem man einen einfachen Use Case selbst bauen kann, bieten aber auch Integrationen an zu Partnern, die Bots mit erweiterten Funktionalitäten oder in mehreren Sprachen ermöglichen; etwas, das über unsere Expertise herausgeht. Andere Bothersteller oder -anbieter lassen sich so anbinden.
In eurer Studie schreibt ihr, dass Unternehmen KI primär einsetzen, nicht um die Kundenerfahrung zu verbessern, sondern um Kosten zu sparen. Was ist daran falsch?
Wenn wir uns von Chatbots wegbewegen und künstliche Intelligenz (KI) im Allgemeinen betrachten, sehen wir drei Anwendungsfälle:
- In der direkten Interaktion mit Kunden, zum Beispiel bei der Beantwortung häufiger Fragen.
- Auf der Agentenseite: Stell dir vor, du bist ein neuer Support Agent und hast den ersten Arbeitstag mit einem Ticktetingtool oder am Telefon. Wir haben z.B. einen Agent Assist-Bot, der eine Anregung gibt, was man Kunden in bestimmten Momenten fragen kann. Beispiel: Der Supportmitarbeiter fragt, welches Problem besteht. Der Kunde sagt, es geht um eine Bestellung. Der Bot schlägt weitere mögliche Fragen vor, um den neuen Agenten zu unterstützen und Kunden so eine gute Erfahrung zu bieten.
- Auf der Adminseite: Ein Admin einer Ticketinglösung oder Customer Care Manager bekommt Anregungen von einem Bot, z.B. wie man das Selfservice Portal verbessern könnte oder wie der Forecast an Tickets aussieht. Der Bot hilft hier, datenbasierte Entscheidungen zu treffen.
Kurz: KI muss in allen Service-Elementen integriert werden. All dies soll helfen, den Kunden möglichst einfach durch den Support zu führen und ein personalisiertes Supporterlebnis zu bieten. Nichts ist ärgerlicher, als wenn man als Kunde sein Anliegen immer wieder von Neuem erklären muss oder es keine Rolle spielt, wie gut man ein Produkt schon kennt oder nicht.
Gegenüber Chatbots verwenden Konsumenten mehr Beleidigungen und Kraftausdrücke als gegenüber menschlichen Agenten im Kundenservice. Einige Verbraucher schneiden Chatbots gegenüber sensible Themen an. Eine erhebliche Zahl europäischer Verbraucher stellt Bots Fragen, die ihnen gegenüber Menschen peinlich wären.
Studie “Der Bot und die Kundenerfahrung”
Was können Unternehmen tun, um das Kundenerlebnis zu verbessern?
Indem sie einen Wow-Moment bieten, wie wir es nennen. Da erinnere ich mich an eine Erfahrung, die ich kürzlich mit einer Lieferung hatte. In weniger als zwei Minuten habe ich nicht nur eine Nachlieferung bekommen, sondern der Weg dahin war mühelos. Danach habe ich einen Anruf bekommen, es seien alle Informationen da, die Nachlieferung sei ausgelöst, ob sie sonst noch helfen können.
Es ist absolut wichtig, Agenten alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen. Sonst entsteht Frust bei Kunden, weil sie alles nochmals erzählen müssen. Das lässt sich vermeiden, indem die verschiedenen Kontaktpunkte verknüpft und so Informationen zusammengeführt werden. Der Kunde merkt dann, dass das Unternehmen weiss, mit wem es redet – und helfen kann.
Kunden legen nach wie vor viel Wert auf menschliche Interaktion. Bots sollen Menschen unterstützen, nicht ersetzen.
Jens Leucke, Freshworks
Wie weit sind Unternehmen im DACH-Raum? Viele haben erst gerade mal ihren Social Media Dialog in den Griff bekommen.
Wenn ich den deutschsprachigen Raum mit dem amerikanischen vergleiche: In den USA geht nichts mehr übers Telefon, bereits 60-70 Prozent der Kontakte gehen über Messengerdienste, egal ob Facebook Messenger, Apple Business Chat oder Whatsapp. Im deutschsprachigen Raum ist es fast andersrum. Das ändert sich erst langsam mit einer digitalen Generation, die auch über Instagram oder Snapchat kommunizieren will. Es hängt auch von der Industrie und der Grösse des Unternehmens ab: Wir sehen einige grosse Konzerne, die sehr weit sind, der klassische Mittelstand hat öfters noch was nachzuholen. Auf Websiten sind da meist eine Telefonnummer und ein Kontaktformular anzufinden. E-Commerce-Unternehmen sind meist weiter als z.B. traditionelle Maschinenbauer oder klassische Unternehmen.
Das Thema Kundenservice sollte für jeden Geschäftsführer auf der Agenda stehen. Es geht hier um die digitale Transformation, darum, wie ich als Unternehmen mit Kunden in Kontakt trete. Das ist das wichtigste Thema überhaupt.
Wie seht ihr Chatbots in anderen Unternehmensbereichen?
Chatbots nicht nur für den Kundenservice sondern auch für das Thema Marketing relevant. Sie sind eine Chance, mit Kunden über den reinen Support hinaus in Kontakt zu treten und so neues Marketing zu machen. Beispielsweise kann ein Unternehmen einen Chat anbieten, wenn sich ein Kunde auf der Website oder in seinem Kundenkonto mit der Kündigung auseinandersetzt. Hier könnte ein Chat aufpoppen, so dass der Kunde Feedback geben kann. Diese Chance lassen viele unbeachtet.
Unternehmen vergessen auch häufig, was ein Bot für die interne Kommunikation Gutes tun kann. Wenn du beispielsweise in einer Firma anfängst, hast du viele Fragen: Was sind die Öffnungszeiten der Kantine? Wie kann ich einen Urlaubsantrag einreichen? Das sind klassische Fragen, die man gut von einem Chatbot beantworten lassen kann.
Jens, vielen Dank für das Gespräch.
Studie: Der Bot und die Kundenerfahrung – so gestaltet sich die Praxis. Ein Bericht zu den Chancen für KI-gestützte Services. Zum Download.